Philosophie

Der Faktor X


Während meiner langjährigen schöpferischen töpfernden Tätigkeit bin ich immer wieder gefragt worden woher ich die Einfälle nehme, wieso mir immer eine neue Idee komme, was man aus Ton machen könnte und wie sehr man mich darum beneide.

Ich gab fast immer dieselben Antworten:
Ich brauche einfach nicht nach Ideen zu suchen, denn sie sind bereits da und verlangen frech meine Aufmerksamkeit.
Ich habe, im Gegenteil, sogar große Angst, daß meine Lebenszeit nicht ausreicht um alles, was da an Ideen sprudelt, noch in die Tat umzusetzen.

Das Leid des Wolfgang Amadeus Mozart kann ich nachempfinden. Welche Pein es wohl gewesen sein mußte, nicht genug Zeit zu haben um all die Noten aufzuschreiben, die in seinem Kopf waren.


KÜNSTLER KÖNNEN ALLE TOLLE SACHEN MACHEN,
ABER ANDERSHERUM,
SIE KÖNNEN AUCH NICHT ANDERS, SIE MÜSSEN DAS.


Schon als kleines Mädchen konnte ich nicht normal Abendbrot essen, denn das Brot wurde erst dekoriert. Quark in die Mitte, hübsche Gurkenschnitze drauf, Radieschenscheiben an den Rand und ein Schnittlauchröllchenmuster zur Vollendung, bevor ich zufrieden hineinbeißen konnte.
Ich will niemanden langweilen mit einem mehr als 50 Jahre zurückliegenden Abendbrot. Ich möchte nur erinnern, wie schnell man verhungern kann als Kreativer.


DIE FRAGE BLEIBT:
SIND WIR KÜNSTLER BEGNADETE ODER NICHT BEI TROST?
SIND WIR MICHELANGELOS ODER SPINNER?


Ich bin mir nicht sicher, aber ich behaupte, daß wir alle, wir Künstler, etwas gemein haben, nämlich den Faktor X, dessen wir uns bedienen, ob wir nun können oder müssen, und der uns in einer Welt der Gleichmacherei, der Ignoranz und des schnelllebigen Schunds die Naivität bewahrt, die man braucht, um z. B. aus Erde einen Topf zu machen. Und das ist fast ein kleines Wunder, finde ich.